Logo lebendig - Raum für Kunsttherapie
Abbildungen unterschiedlicher embryonaler Wachstumsphasen und einer analogen kunsstherapeutischen Gestaltung

ganz lebendig von anfang an -
Wirksamkeit von Kunsttherapie
bei prä- und perinatalen Störungen


Mitglied einer Forschungs- und
Experimentiergruppe für
systemische Aufstellungsarbeit


 

Diplomarbeit an der Wiener Schule für Kunsttherapie, Oktober 2008, Einleitungstext:

Das Bewusstsein um die Gegeben-heit
"ganz lebendig von anfang an" stellt Ur-Sache und zugleich Ziel dieser gleichnamigen Diplomarbeit zur klinischen und phronetischen Kunsttherapeutin dar.
Die Kenntnis um unsere uns individuell zugrunde liegende
Ganzheit, aber ebenso das Wissen darum, wann und wenn diese Ganzheit zerstört und demnach die Sicherheit darüber verloren geht, ist tief in uns gespeichert. Wir Menschen verfügen sozusagen über ein in der Tiefe begründetes,
inneres Entwicklungswissen.

In der Kunsttherapie nennen wir dieses Wissen, dass uns stetig in
Bewegung hält und unser körperliches, geistiges und seelisches Wachstum vorantreibt, die „Lebensbewegung“. Sie gründet in unserer Ganzheit und verkörpert ebenso diese ganzheitliche Bewegung und ihre Erfüllung, denn ihre
freie Ausgestaltung, das wonach der Mensch sein lebtaglang trachtet, bewirkt wiederum Ganzheit im ihm.

Vor einiger Zeit bin ich über nachfolgendes Zitat von Graf Dürkheim gestolpert. Im Zuge der Auseinandersetzung mit meinem Diplomarbeitsthema für die Kunsttherapie bin ich abermals auf diesen Mann und auch genau auf dasselbe Zitat aus „Die große Erfahrung“ gestoßen, wodurch sich der Kreis, mein Kreis, auf eine ganz bestimmte Art wieder zu schließen beginnt und dadurch rund und ganz werden kann:

„In der Tiefe unseres Selbstes wirkt ein Agens, das alles, was wir sind, tun oder lassen, formt, übergreift, auswiegt, erneuert und richtet: Die Selbstverwirklichungsspannung des größeren Lebens, so wie es in unserem Wesen verkörpert ist".

Weiters fährt Dürckheim in seinem Text fort, dass der Mensch hier die „große Erfahrung“ machen kann, „dass das
eigene Leben im Dasein gespeist und getragen, vorgeformt und
gerichtet und zugleich geborgen und aufgehoben ist in der
Seinsfülle, Ordnung und Einheit eines größeren Lebens, das unser kleines Leben durchwaltet und übergreift “.


Der Verlust dieses von Dürckheim so anschaulich beschriebenen Agens, der Ganzheit, aber eigentlich des
Wissens um die Ganzheit, bedeutet einen Verlust der Fülle des Erlebens, einen Verlust der Lebendigkeit im Leben.

Schon von Beginn an lebt der Mensch in einer und es wird ihm gleichsam eine ganzheitliche, zusammenhängende unteilbare Wirklichkeit zuteil. Zum einen ist er Teil dieser Einheit und zum anderen bildet er sie auch; die Unität selbst ist ihrerseits von einem innewohnenden Prinzip/Wissen heraus organisiert.

Diese ganzheitliche, mehrere (Bewusstseins)Ebenen umfassende, wechselseitige Beziehungswirklichkeit ist schon ganz früh im Menschen implizit und explizit wahrnehmbar. Ihr erstes Anzeichen wird nach der Verschmelzung der weiblichen und männlichen Erbmasse durch das eigenständige Aussenden von Signalen seitens der Urzelle(n) für die bevorstehende Einnistung sichtbar. Dieser alternierende frühe Dialog zwischen Embryo und Mutter, die ihrerseits (im Idealfall) stimmig auf seine Botschaften re-agiert, untermauert die These eines urtümlichen Entwicklungswissens, der Lebensbewegung, welche die gesamte vorgeburtlichen Zeit hindurch bis zur Einleitung des Geburtsvorgangs andauert und auch danach seine natürliche Fortsetzung finden sollte.
Tatsächlich bestimmt dieses Prinzip die gesamte Entwicklung des pränatalen Kindes.

Dass es sich beim
Zellwachstum um einen lebendigen Entfaltungsprozess von aktivierter Möglichkeit und strukturell gegebenen Bedingungen handelt, was bedeutet, dass sich Struktur und Funktion in der Embryonalentwicklung gegenseitig bedingen, bestätigt aufs Neue die Existenz eines anfänglichen Agens.
Darüber hinaus organisieren sich die Sinne des vorgeburtlichen Kindes gleichfalls in ganzheitlicher Manier, was zu einer
komplexen, sinnenhaften, lebendigen Wahrnehmung und Beziehungsfähigkeit des Embryos führt.
Beim pränatalen Kind muss es sich sonach um eine menschliche Persönlichkeit, vor allem mit viel Gefühl, der Fähigkeit zu Empfindungen, Wahrnehmung, Eindrucksfähigkeit, Neugierde, Lernfähigkeit, Bewegungslust und eben auch Ausdrucksfähigkeit handeln .

Um diesen Sachverhalt, die Komplexität, die dahinter steckt aber wahrnehmen und begreifen zu können, sieht man sich meiner Meinung nach dem Erfordernis gegenübergestellt, gewohnte Denkmuster zu hinterfragen und so zu relativieren, um in einen offenen, interdisziplinären, somit ganzheitlichen Dialog treten zu können; der Versuch, einen Beitrag in diese Richtung zu leisten, liegt dieser Arbeit zu Grunde.

Mein Anliegen war und ist es nach wie vor, Erkenntnisinhalte aus der Neurobiologie, der frühen Säuglingsforschung, der Pränatalpsychologie und der Philosophie zu meinen in der kunsttherapeutischen Begleitung gemachten Beobachtungen und Erfahrungen heran zu ziehen, um die introspektiv, in der therapeutischen Haltung gewonnenen Erkenntnisse durch empirische natur- und geistes-wissenschaftliche Aussagen zu ergänzen, zu untermauern, zu erweitern und ihnen dadurch mehr Klarheit (vor allem für mich selbst) zu verleihen.

Ich versuchte das wissenschaftliche Prinzip, welches das Denken als primäre Erkenntnismöglichkeit zur Basis hat, dem kunsttherapeutische Menschenbild, dessen Ausgangspunkt und gleichsam Ziel die Lebensbewegung des Menschen aus dem Selbst heraus und vor allem deren Gestaltbildung ist, auf eine besondere Art gegenüber zu stellen, um dabei zu erkennen, dass die Thematik um die vorgeburtlichen Zeit bzw. ihre Bedeutung für unser Menschsein diese beiden Ansätze zu verbinden vermag.
In erster Linie sind es Befunde aus der Neurobiologie, die zeigen, dass
prä-, peri- und postnatale Erfahrungen, die stammesgeschichtliche und seinsgeschichtliche Basis des Menschen stark mitbestimmen. Außerdem versuchen diese Ergebnisse zu erklären, dass bestimmte Phänomene, die sich bislang jeglichen naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen entzogen haben, zu den grundsätzlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen zu zählen sind.

Unsere anfängliche Lebenszeit drängt sowohl angesichts ihrer biologisch existenziellen Bedeutung zeitlebens ins spätere Bewusstsein ein, aber hauptsächlich aufgrund ihrer Qualität als mit Fülle, Lebendigkeit und Komplexität durchdrungener und angereicherte Erfahrungsraum.

In anderen Kulturkreisen und auch spirituellen Lehren begleitet die Integration dieser allzu bedeutenden Lebensphase in das Bewusstsein die alltägliche Lebenswirklichkeit; es handelt sich dabei um einen wesentlichen Bestandteil des kulturellen und persönlichen Individuationsprozesses, der Ausgestaltung der kollektiven und individuellen Lebensbewegung.
Die
Kunsttherapie greift dieses ursprüngliche Wissen, um den eigenen Entwicklungsprozess auf, in dem sie dieser Bewegung hin zum Ganzsein, Raum zur Ausgestaltung spendet. In diesem Kontext würde ich so weit gehen und behaupten, dass für mich eine starke Parallele zwischen dem kunsttherapeutischen Setting und unserer vorgeburtlichen Zeit im Mutterleib existiert. Beide, unser Lebensanfang und die Haltung und demnach auch die Wirkung gründen auf dem Raum, der ohne Einschränkung zur Verfügung gestellt werden sollte. In beiden Fällen ist es eine Art Entwicklungsraum (im Bezug auf die Kunsttherapie ein nachträglicher), ein Daseinsraum, damit die Entfaltung und Entwicklung ins Sein, die Ausgestaltung des eigenen Wesenhaftigkeit auf lebendige Weise geschehen darf und kann.

In diesem Sinne kann die Sensibilisierung für unseren Lebensanfang, der von dem hier beschriebenen ganzheitlichen Aspekt geprägt und getragen ist und wird und dessen Integration in unsere aktuelle Erlebniswirklichkeit, in unseren Bezug zu uns selbst wie zur Welt, nur zu einem umfangreicheren und vollständigeren Selbst- und Weltverständnis, zu einem ganzheitlicheren Menschenbild und in logischer Konsequenz nur zu einer Erweiterung und Bereicherung auch unseres Tätigkeitsfeldes als KunsttherapeutInnen führen, was die folgende Arbeit vordergründig zu bewirken versucht.

textanfang